Ulrike Kienzle: |
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InhaltsverzeichnisVorbemerkung I. Ein Schlüsselwerk der Wiener Moderne Der ferne Klang und die Kunst der
Jahrhundertwende: Zwei Gegenüberstellungen II. Der romantische Blick nach vorn Ästhetische Anverwandlungen Franz Schrekers geistiger Horizont III. Erster Akt: Der psychologische Perspektivismus Die Exposition der Handlung: Naturalismus und »nervöse
Romantik« IV. La casa di maschere Im »Labyrinth der Liebe« Abschied vom Jugendstil: Das Scheitern einer Utopie V. Zweiter und dritter Akt: Psychogramm eines doppelten Scheiterns Zwei Ebenen der Realität VI. Ein Spiegelkabinett Zur dramaturgischen Technik im Fernen Klang Reflexion und Spiegelbild Zum Beschluß Szenenfolge und Konkordanz Motivtafel
Zusammenfassung des InhaltsFranz Schrekers Oper »Der ferne Klang« ist ein Schlüsselwerk der Wiener Moderne und das Frühwerk eines Komponisten, der auf der Suche nach avanciertem Ausdruck für das Lebensgefühl seiner verwirrenden und von Paradoxien geprägten Zeit neue Wege musikdramatischer Gestaltung erschließt. Ulrike Kienzle bietet zum ersten Mal eine detaillierte Gesamtinterpretation dieses faszinierenden Musikdramas. Zwei junge Menschen sind auf der Suche nach sich selbst, aber beide Versuche der Selbstfindung scheitern: Der Komponist Fritz, der auszieht, seine künstlerische Vision zu verwirklichen, verfehlt trotz äußerer Erfolge sein Ziel. Die romantische Hoffnung, er könne das Geheimnis des kosmischen Klingens ergründen, das er zu hören glaubt, wird ebenso enttäuscht wie die Sehnsucht seiner Geliebten Grete nach erotischer Erfüllung. Während Fritz auf der Suche nach dem »fernen Klang« den destruktiven Halluzinationen seiner Psyche verfällt, endet Gretes Sehnsucht nach Einswerden mit der Natur in der banalen Realität einer Existenz als Straßendirne. Für beide enthüllt sich hinter dem Traum das Trauma der Vergeblichkeit. Die Utopie einer Versöhnung von Kunst und Leben die zentrale Vision des Jugendstils versagt. Die fatalistische Aussage des Werks spiegelt damit die Befindlichkeit des Menschen in einer zunehmend fremdbestimmten Welt. Traum und Trauma sind Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse, mit denen auch die Werkaussage des »Fernen Klang« beschrieben werden kann. Schreker gestaltet ein subtiles Psychogramm seiner Protagonisten, in dem die grundlegenden Werke der frühen Psychoanalyse ihre Spuren hinterlassen haben: Sigmund Freuds »Traumdeutung« und die gemeinsam mit Josef Breuer verfaßten »Studien über Hysterie«. Zur Umsetzung dieser musikdramatischen Konzeption entwickelt Schreker eine neuartige Technik der musikalischen Vermittlung: Das Orchester zeichnet das Werden und Vergehen von Assoziationen und Gefühlen, die subtile Wandlung von Bewußtseinsprozessen, die Grenzgänge der Seele zwischen Wachbewußtsein, Somnambulismus und hysterischer Entfremdung in einer musikalischen Sprache nach, die bis an die Grenzen der Tonalität vorstößt, eine spezifische Methodik der Klangkomposition und der Leitmotivik einführt und Verfahrensweisen der Collage sowie die freie, assoziative Entwicklung formaler Modelle einschließt. Das Buch beleuchtet Schrekers musikdramatische Technik von der Außenschicht der Handlungsmotivation und der Bilderwelt bis in die Tiefenschichten der textlichen und musikalischen Strukturen. Die Autorin geht dabei konsequent interdisziplinär vor: Die musikalische Analyse steht in Wechselwirkung mit vergleichenden Reflexionen zur Literatur und Bildenden Kunst ebenso wie zum zeitgenössischen Musiktheater; sie bezieht zudem geistesgeschichtliche Betrachtungen und Fragestellungen der frühen Psychoanalyse ein. Damit entwickelt sie zugleich eine neue, integrale Analyse-Methode, die das Zusammenwirken der unterschiedlichen Ausdrucksebenen im Musiktheater differenziert beleuchtet. Bei der Studienpartitur handelt es sich um den Nachdruck der Dirigierpartitur aus dem Jahre 1912, die bislang nur als Leihmaterial verfügbar war. Da noch keine kritische Ausgabe der Werke von Franz Schreker existiert, bietet diese Fassung den zur Zeit einzig verbindlichen Notentext der Partitur des »Fernen Klang«. Mit einer editorischen Notiz von Ulrike Kienzle.
RezensionOpernwelt, Juni 1999 »Der ferne Klang« war verglichen mit dem »Schatzgräber« zwar nicht die erfolgreichste, doch aber die folgenreichste Oper Schrekers. 1912 in Frankfurt am Main durch den aufgeschlossenen und wagemutigen Ludwig Rottenberg, den späteren Schwiegervater Paul Hindemiths, aus der Taufe gehoben, brachte sie dem bis dato in Wien mäßig reüssierenden Komponisten internationalen Ruhm über Nacht. In einer auch für das zeitgenössische Drama etwa bei Hauptmann und Wedekind typischen Vermischung romantischer, naturalistischer, märchenhafter und symbolistischer Elemente zielte Schreker darauf ab, einen neuen, über Wagner hinausgehenden Operntypus zu schaffen, der sich gleichermaßen durch Fantastik und Wahrhaftigkeit auszeichnen sollte. Es war Schrekers erklärtes Ziel, »schon dadurch mit aller Wagner-Nachahmung zu brechen«, daß er »einfache, bürgerliche, zum Teil vulgär sprechende Menschen des Alltags auf die Bühne stellte ein abenteuerliches Unterfangen«. Und in diesem Sinne reagierte die fortschrittlich gesinnte Kritik 1912 auf den »Fernen Klang«: »Endlich ein Dichterkomponist, der mit den Worten des alten Wagner: Kinder, macht Neues! Ernst macht und nach Goethe mitten ins Leben greift, wo es interessant! Eine Dichtung kein Textbuch voll symbolischer Gedankentiefe, den Aufmerksamen durch die wahrhaftige Psychologie und den poetischen Duft des Märchens fesselnd, dann auch ein Theaterbuch für das große Publikum«, schrieb kurz nach der Uraufführung Karl Werner im »Merker«. Daß sich Richard Maaß, ein Kritiker der Berliner Erstaufführung des »Fernen Klanges«, noch 1925 zu einer Apologie genötigt sah, zeigt aber auch, wie das, was im Schauspiel längst zur Tagesordnung gehörte, auf der Musikbühne nachhaltig für Widerspruch sorgte. Die konservative Abwehrhaltung gegenüber dem ungeschönten, aller opernhaften Typisierung entkleideten »Menschen der Gegenwart«, die Schreker erstmals auf die Bühne brachte, sollte ihm bereits in den zwanziger Jahren das Brandmal der »Entartung« einbringen. Schrekers einst so erfolgreiche Werke wie »Der ferne Klang«, »Die Gezeichneten« oder »Der Schatzgräber«, in der es von »Dirnen, Mörderinnen, Kranken mit perverser Sinnlichkeit, Gezeichneten verschiedenster Art« (Alfred Heuss) nur so wimmelte, überlebten die zwölfjährige Epochenzäsur des Nationalsozialismus nicht. Nach dem Krieg übernahmen die einschlägigen Opern-Lexika die Terminologie der Nazis und deren geistiger Wegbereiter ungeprüft. Noch 1978, dem Jahr der posthumen Uraufführung von Schrekers Oper »Christophorus«, die 1932 von einer braunen Stadtratsmehrheit in Freiburg gekippt worden war, las man in der neunten Auflage von Kloibers »Handbuch der Oper« über Schreker den lapidaren Satz: »Komponist von zeitweise erfolgreichen Opern (meist verschwommene, von krankhafter Erotik handelnde Texte) «. Bezeichnend für Schrekers Rezeptionsgeschichte nach 1945 ist die Tatsache, daß die psychoanalytischen Implikationen seiner Bühnenwerke als Ansatzpunkt für eine neue Sichtung seines uvres nicht aufgegriffen wurden. Verhindert zweifelsohne auch durch Adornos Schreker-Verdikt, Ende der fünfziger Jahre in einem Radio-Aufsatz formuliert, 1962 in »Quasi una fantasia« gedruckt, der der Auseinandersetzung mit Schreker eine fatale Richtung gab. Mit aller Macht sollte noch einmal das »Primat des Geistigen« in der Kunst gegenüber allem »Hedonistisch-Wohlgefälligen« verteidigt werden, noch einmal wurde Schreker als Sündenbock in die kulturgeschichtliche Wüste geschickt, bezeichnenderweise gerade zu einem Zeitpunkt, als die Festung »Neue Musik« und ihre Doktrinen zu wanken begannen. Die Schreker-Forschung hat hier in den letzten zwanzig Jahren Wesentliches geleistet, ohne daß die Erkenntnis Schrekers als eines der »größten Theatraliker der neueren Operngeschichte« (Döhring) ihr nachhaltiges Echo in den Spielplänen gefunden hätte. Seit John Dews erfolgreicher Inszenierung des »Schmieds von Gent« 1992 in Bielefeld hat es keine Schreker-Inszenierung mehr gegeben. Mit vierzig Jahren Abstand zu Gösta Neuwirths Dissertation über »Die Harmonik des Fernen Klanges« von 1959, die sich in erster Linie an ein Publikum von analytisch geschulten Spezialisten wandte, legte Ulrike Kienzle im letzten Jahr ihre Monographie »Das Trauma hinter dem Traum Franz Schrekers Oper Der Ferne Klang und die Wiener Moderne« vor, eine interdisziplinäre Studie, die man ohne zu übertreiben als Meilenstein der Schreker-Forschung bezeichnen kann. Die auf den Gebieten der musikalischen Werkanalyse, Kulturgeschichte und Psychologie gleichermaßen versierte Autorin räumt mit zahlreichen, heute noch gängigen Klischées der Schreker-Rezeption auf, wobei sie sich auf die Erschließung relevanter Primärquellen durch den amerikanischen Musikwissenschaftler und ausgewiesenen Schrekerbiographen Christopher Hailey stützen kann: unter anderem den Briefwechsel Schrekers mit dem einflußreichen Kritiker, Musikschriftsteller und späteren Intendanten Paul Bekker, und den hier erstmals ausgewerteten Briefwechsel mit der Jugendfreundin Schrekers, Grete Jonas, die nicht nur als Muse, sondern auch als Dialogpartnerin an der langen und krisengezeichneten Entstehungsgeschichte der Oper Anteil nahm (die Relevanz dieser Beziehung findet ihren Reflex in der Namensgebung der beiden Protagonisten der Oper, Grete und Fritz). Kienzle zeichnet zunächst ein komplexes Bild des geistes- und sozialgeschichtlichen Umfeldes, in dem die Oper zu Beginn des neuen Jahrhunderts entstand, und macht die zahlreichen Verbindungslinien Schrekers zu den literarischen und künstlerischen Avantgarden des Wiener Fin de siècles sichtbar, zum Kreis der Literaten des »Jungen Wien«, zu Jugendstil und Sezession. Vor allem aber kann sie, gestützt auf Schrekers eigene Aussagen und eine minutiöse Exegese der Partitur, erstmals Schrekers intensive Auseinandersetzung mit den Schlüsseltexten der frühen Psychoanalyse nachweisen, maßgeblich Freuds und Breuers Studien zur Hysterie und Freuds Traumdeutung. Die Geschichte des Fernen Klanges erzählt nicht nur die Tragödie des Komponisten Fritz, der an dem romantischen Anspruch scheitert, das Absolutum im tönenden Gebilde zu fassen, weil sein Ehrgeiz nach Ruhm und Ehre ihn an der Einsicht vorbeilaufen läßt, daß sich der chimärenhafte »Ferne Klang« nur in Gegenwart der von ihm verstoßenen Geliebten Grete konkretisiert; die Oper zeigt auch die psychische Deformation eines Mädchens und jungen Frau, die durch den zynischen Verfügungsanspruch des kleinbürgerlichen Vaters, der ihren Körper als Tauschobjekt gegen Spielschulden an den Wirt seiner Stammkneipe verkegelt, traumatisiert wird. Kienzle zeigt auf, wie Schreker das Schicksal Gretes als Prostituierte, die sich über die glanzvolle Existenz einer Kurtisane in einem venezianischen Luxusbordell bis in die Abgründe der Straßenprostitution in einer modernen Großstadt führt, als Ergebnis einer »schweren Identifikationsstörung« in Folge traumatischer Erlebnisse vorführt. Mit dem Eintauchen in die Tiefenschichten der Psyche wandeln sich Material und Syntax der musikalischen Sprache. Das Orchester wird, wie in Schönbergs expressionistischen Einaktern, zum Träger einer zweiten, gleichsam subkutanen Erzählschicht, zum tönenden Medium unterbewußter Triebströme und vorbewußter Assoziationen. Kienzle faßt diese Vorgehensweise, »die Prozesse der motivisch-thematischen Arbeit in Analogie zu dem Ablauf einer Assoziationsreihe im Bewußtsein seines reflektierenden Subjekts« zu setzen, im schlüssigen Begriff des »psychologischen Perspektivismus« zusammen. Formaler Zusammenhalt entsteht dabei »mit Ausnahme der ironischen Verfremdung traditioneller Versatzstücke und der Techniken der Montage und Collage stets aus dem Ablauf der psychischen Assoziationen der Dramatis personae und aus der musikalischen Nachzeichnung von Bewußtseinsprozessen.« Schrekers Technik des »psychologischen Perspktivismus« findet ihre Anwendung allerdings nicht nur in der Handhabung des musikalischen Materials, sondern weitgehend auch in der »Übersetzung« latenter Traumgedanken (Freud) in die Bildwelt der Handlung: Als Traum im Traum etwa deutet Grete selbst ihr Dasein in der »Casa di Maschere«. Kienzles Arbeit liefert Einsichten, die Schrekers Modernität und ungebrochene Aktualität am Ende eines Jahrhunderts der individuellen und kollektiven Traumata in neuem Licht zeigt. Schreker verletzte nicht die »Tabus, wie sie die Idee des verbindlichen Kunstwerks über den Hedonismus von Rausch und Rauschen« verhängt habe, seine Musik wurde nicht eingegeben von der »Sehnsucht nach unbändigem Glücksverlangen«, wie Adorno verkürzend behauptete, Schreker zeigte vielmehr als einsichtiger Psychologe das Glücksverlangen als eine Triebfeder der menschlichen Psyche und den Prozeß seelischer Deformation in der Erfahrung seiner Uneinlösbarkeit. In nahezu allen Bühnenwerken Schrekers, von der Tanzpantomime »Der Geburtstag der Infantin« und deren Fortführung in den »Gezeichneten« bis hin zum »Singenden Teufel« stehen traumatische Erlebnisse im Mittelpunkt tragisch endender Handlungen. Die Momente absoluten Glücks, die Schrekers Opern durchziehen, sind so chimärisch wie das Medium, das sie verstörend, rätselhaft weltfern, aufklingen läßt. Dem Buch ist zu wünschen, daß es auch in Theaterkreisen
rezipiert wird. Eine szenische Umsetzung des »Fernen Klanges«,
sollte es denn an den krisengeschüttelten Opernhäusern noch
einmal zu einer solchen kommen, wird darin wertvolle Anregungen finden
und sollte hinter dem hier gesteckten Interpretationsniveau nicht zurückfallen.
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