Zwischen schöpferischer Individualität und künstlerischer Selbstverleugnung. Zur musikalischen Aufführungspraxis im 19. Jahrhundert
hg. von Claudio Bacciagaluppi, Roman Brotbeck und Anselm Gerhard



Zusammenfassung



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Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Tonbeispiele

Roman Brotbeck | Einleitung

Hans-Joachim Hinrichsen | Was heißt »Interpretation« im 19. Jahrhundert? Zur Geschichte eines problematischen Begriffs

Dirk Börner | Carl Czerny – oder: Was würde passieren, wenn wir ihn wirklich ernst nähmen?

Ivana Rentsch | Der »natürliche Ausfluß« des »Unmusikalischen«. Zum Rezitativ in der Vokalmusik des 19. Jahrhunderts

Arne Stollberg | »... daß ich ihn unter dem Singen wirklich und deutlich sprechen ließ«. Richard Wagner als Gesangspädagoge

Walther Dürr | Schuberts Dynamik. Beobachtungen am Manuskript

Clive Brown | Singing and String Playing in Comparison: Instructions for the Technical and Artistic Employment of Portamento and Vibrato in Charles de Bériot’s Méthode de violon

Manuel Bärtsch | Chopins Schlafrock. Von der Selbstauflösung der Romantik nach 1850

Tomasz Herbut | Chopins Pedal. Bemerkungen eines heutigen Interpreten

Jesper Boje Christensen | Was uns kein Notentext hätte erzählen können. Zur musikalischen Bedeutung und Aussagekraft historischer Tondokumente

Anselm Gerhard | »You do it!« Weitere Belege für das willkürliche Arpeggieren in der klassisch-romantischen Klaviermusik

Claudio Bacciagaluppi | Die Kunst des Präludierens

Roman Brotbeck | Das Forschungsfeld »Interpretationspraxis des 19. Jahrhunderts« an der Hochschule der Künste Bern

Die Autoren der Beiträge

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Zusammenfassung des Inhalts

Aus der Einleitung von Roman Brotbeck       Diese Publikation ist im eigentlichen Sinne kein Abschlußbericht des »Symposiums zur musikalischen Aufführungspraxis im 19. Jahrhundert«, das an der Hochschule der Künste in Bern stattfand, sondern vielmehr eine Dokumentation von Anfängen in einem Forschungsfeld, das sich als äußerst fruchtbar erweist, fast täglich neue Fragen stellt und zu überraschenden Hypothesen führt.
Hans-Joachim Hinrichsen weist nach, daß ein auf das »Wichtige« – das heißt auf den motivisch-konstruktiven Verlauf der Musik – fokussierender Ansatz der Analyse, welcher die Anfänge der Musikwissenschaft und auch der Interpretation im emphatischen Bülowschen Sinne bildete, eine Wendung des späten 19. Jahrhunderts darstellt, die mit der realen musikalischen Aufführungspraxis des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts wohl eher wenig zu tun hatte. Im Voraus geplant war das nicht, aber mein eigenes, vom Forschungsmanagement und von der Positionierung des Forschungsfeldes innerhalb des Musikhochschulalltages geprägtes Referat korrespondierte mit Hinrichsens Ansatz und spitzte ihn – wohl ungebührlich – auf die These zu: Unser 19. Jahrhundert wurde im 20. Jahrhundert erfunden. Auch wenn man nicht ganz so weit gehen will: Gerade jene musikpraktischen und musikwissenschaftlichen Referate, die ihren Gegenstand minutiös untersuchten oder seinen Spuren folgten, zeigten, wie anders das uns so nahe und täglich im Konzert reproduzierte Jahrhundert in Wirklichkeit gedacht und geklungen hat.
Dirk Börner führte mit seinen Studierenden Carl Czernys protokollähnliche Beschreibungen von Beethovens Klavierwerken auf und kommentierte die Resultate. Diese sind schlicht verblüffend, und es ist erstaunlich, daß diese wichtige Quelle noch kaum den Bezirk der musikwissenschaftlichen Beschäftigung verlassen hat und in die Musikpraxis umgesetzt wurde. Wenn man den hier vorgelegten Versuch auf einer höheren Ebene betrachtet, so erweist sich das Spannende darin, daß dieses minutiöse Nachspielen nicht etwa zur Einschränkung auf eine »Idealinterpretation« führt, sondern erst eigentlich vorführt, welch große Freiheiten dem Interpreten gerade in den Bereichen Dynamik und Tempovariation geöffnet wurden, – viel größer als sie heute üblicherweise zugestanden werden. Dies macht die historisch informierte Aufführungspraxis im 19. Jahrhundert innerhalb einer Hochschule letztlich auch so interessant. Es fehlt ihr das Dogmatische, beziehungsweise jeder dogmatische Ansatz wird sofort entkräftet, weil das Undogmatische offenbar gerade ein Prinzip vieler Positionen des 19. Jahrhunderts ist.
Ivana Rentsch stellt in ihrem Beitrag zum Rezitativ im 19. Jahrhundert dar, wie die Freiheit in dieser quasi »freien« Form teilweise geradezu zum Exzeß getrieben wurde. Arne Stollberg zeigt in seinem Beitrag zu Wagner, wie paradox sich auch hier die eigenen Aussagen von Wagner als Gesangspädagoge erweisen und wie schwierig seine Ausführungen in eine bestimmte Praxis umzusetzen sind. Die in seinem Referat vorgeführten quasi legitimierten und sich auf Wagner beziehenden historischen Aufnahmen belegten diesen Widerspruch auf genaueste. Beide Referate weisen auf die Bedeutung der Sprache hin, die teilweise als eigentlicher Urkern der Musik verstanden wurde.
Der Schubert-Spezialist Walter Dürr führte in seinem Referat aus, wie schon im Manuskript aufführungspraktische Hinweise wie jene von Schubert zur Dynamik schwierig zu interpretieren sind, und belegte seine Auffassung der Crescendo- und Decrescendo-Gabeln bei Schubert, die oft als Akzente mißverstanden werden, mit vielen schlüssigen Argumenten.
Der Spezialist für die Aufführungspraxis der Streicher im 19. Jahrhundert Clive Brown demonstrierte auf seiner Geige das dialektische Verhältnis zwischen Vibrato und Portamento in Charles de Bériots Violinschule. Sein Referat, welches darlegte, wie gebräuchlich das Portamento war und wie selten das Vibrato eingesetzt wurde, löste viele Diskussionen aus, die bis heute noch nachwirken.
Das Arpeggio könnte man semiotisch als ein auf das Klavier übertragenes Portamento bezeichnen: Auch hier wird der Tonraum in einer Bewegung durchschritten statt als simultan angeschlagener Akkord repräsentiert. Und auch hier sind heutige Zeitgenossen gerade bei der Klavierliteratur sehr rasch mit der alle Diskussionen radikal beendenden Qualifikation des Geschmacklosen dabei. Anselm Gerhard ergänzte seine bereits publizierte Arbeit zum Arpeggio mit neuen Beispielen, die nachdrücklich belegen, wie sehr diese Vortragsart das Klavierspiel im 19. Jahrhundert prägte (und auch noch in den Welte-Mignon-Aufnahmen dominiert).
Das Arpeggieren war auch ein musikalisches Hauptmittel des Präludierens, eine im 19. Jahrhundert verbreitete Musikpraxis, die Claudio Bacciagaluppi ausführlich untersuchte. Das improvisierende Präludieren vor und zwischen den Werken war im 19. Jahrhundert allgemeine Praxis, und Bacciagaluppi zeigt Beispiele bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Sie belegen, daß eine Konzertveranstaltung im 19. Jahrhundert noch als »Gesamtkunstwerk« verstanden wurde, bei der man die Aneinanderreihung von Einzelwerken als Nachteil empfand, der mit dem zwischen den Werken vermittelnden Präludieren aufgehoben werden sollte.
Der Pianist Tomasz Herbut demonstrierte den klanglich innovativen Gebrauch des Pedals bei Chopin und wie Chopin ihn an den Pleyel- und Erard-Instrumenten realisierte. Wichtig ist ihm aber die Darlegung, wie diese Effekte der historischen Instrumente auch auf dem modernen Flügel realisierbar sind.
Manuel Bärtsch belegt in seinem Referat die fundamentalen Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und weist die vielen Mythologisierungen nach, die in der zweiten Hälfte stattgefunden haben und letztlich die Neukonstruktion des 19. Jahrhunderts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorbereiteten.
Im Gespräch dokumentierte Claudio Bacciagaluppi das mit vielen Musikbeispielen durchsetzte Referat von Jesper Christensen, in dem grundsätzliche Haltungen und Unterschiede in den erhaltenen Aufnahmen aufgezeigt wurden.
54 Hörbeispiele auf 2 beigelegten CDs ermöglichen es dem Leser, die Ausführungen der Autoren auch akustisch nachzuvollziehen.
 

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Gesetzt wurde dieses Buch aus der »Seria« und der »SeriaSans«, die von dem Schriftdesiger Martin Majoor im Jahre 2000 gezeichnet wurden. Gedruckt wurde es von der Firma Bookstation in Sipplingen am Bodensee auf »Munken Premium Cream«, ein holzfreies, säurefreies und alterungsbeständiges Werkdruckpapier* mit angenehm gelblichweißer Färbung und hohem, griffigem Volumen,** das von der Papierfabrik Munken in Munkedals, Schweden, hergestellt wird. »Curious Particles«, ein Recyclingpapier mit Schmuckfasern, das für den Bezug des Umschlags verwendet wurde, wird von der Papierfabrik Arjo Wiggins in Issy les Moulineaux/Frankreich gefertigt. Das Vorsatzpapier »Caribic Cherry« stammt von Igepa in Hamburg. Das Kapitalband mit rot-schwarzer Raupe*** wurde von der Band- und Gurtweberei Güth & Wolf in Gütersloh gewoben. Gebunden wurde das Buch von der Allgäuer Buchbinderei Kösel in Altusried-Krugzell.

*      Werkdruckpapier: Ein hochwertiges, maschinenglattes (so wie es aus der Papiermaschine kommt) oder (wie »Munken Premium Cream«) leicht satiniertes (geglättetes) und wenig geleimtes Druckpapier.
**    Papiervolumen: Das Munken-Werkdruckpapier mit einem Flächengewicht von 90g/qm hat 1,75faches Volumen, das heißt: Das Papier ist – im Vergleich zu einem Standardpapier mit demselben Flächengewicht und 1fachem Volumen – dicker, ohne schwerer zu sein.
***  Die Raupe ist der sichtbare runde Teil des Kapitalbandes. Dieses wird mit einem flachen Band, das an der Raupe angewoben ist, am Buchrücken festgeklebt.

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Hintere Umschlagseite mit Buchrücken und vorderer Umschlagseite. Bitte bedenken Sie, daß die Farben, wie Sie sie am Bildschirm sehen, und auf dem gedruckten Buchumschlag mehr oder weniger stark voneinander abweichen können. Das hängt damit zusammen, daß wir für den Druck Sonderfarben verwenden, die mit dem 3-Farb-System eines Monitors (RGB-Modus) nicht adäquat wiedergegeben werden können. Diese Ansicht soll Ihnen nur eine ungefähre Vorstellung des Ganzen vermitteln.
Reihen- und Haupttitel auf einer Doppelseite (Seite 2 und 3)
Zehn verschiedene Seiten aus dem Buch
 

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Rezensionen

Die Musikforschung 2012, Heft 1        Zu den Vorzügen des sorgfältig herausgegebenen und von der Edition Argus gewohnt liebevoll gestalteten Bandes gehört die Integration zweier CDs, die die Ausführungen mehrerer Beiträge sinnvoll akustisch ergänzen.        Thomas Seedorf

       

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